
Europäische Entwicklung
Im vergangenen Jahr haben die wichtigsten Entwicklungen zur künstlichen Intelligenz in Brüssel stattgefunden: Im Juli wurde mit der europäischen Verordnung über künstliche Intelligenz („AI Act“) die weltweit erste Regulierung künstlicher Intelligenz verabschiedet. In dieser Verordnung werden verschiede Risiko-Stufen der Anwendung künstlicher Intelligenz definiert, die jeweils mit besonderen Informations-, Transparenz- und Sorgfaltspflichten verbunden sind.
Leider ist es nicht gelungen, über die eher allgemeine Verpflichtung zur Beachtung europäischen Urheberrechts hinausgehende Regelungen zum Urheberrecht in die Verordnung aufzunehmen (zum Beispiel die Verpflichtung, eine Lizenz für die Nutzung geschützter Werke einzuholen und die Urheber*innen fair für die Nutzung ihrer Werke zu vergüten). Dennoch ist es eine wichtige politische Botschaft, dass Politik und Gesellschaft die Rahmenbedingungen für neue Technologien formulieren und nicht allein die Industrie.
Die Verordnung sieht die Einrichtung eines zentralen europäischen Büros für künstliche Intelligenz („AI Office“) vor, das einen sogenannten Code of Practice für die Anbieter allgemeiner generativer künstlicher Intelligenz in Abstimmung mit den betroffenen Kreisen entwickelt hat. Das Verfahren verfolgte einen ehrgeizigen Zeitplan: Ende September fand eine erste schriftliche Konsultation statt, zwei weitere Runden folgten mit jeweils nur wenigen Tagen zur schriftlichen Stellungnahme. Europaweit war die Zahl der im Konsultationsprozess zugelassen Verbände auf 1.000 beschränkt, so dass die VG Bild-Kunst auf eine eigene Teilnahme verzichtet und stattdessen an den Stellungnahmen der Initiative Urheberrecht, von EVA (European Visual Artists) sowie von IFRRO (International Federation of Reproduction Rights Organisations) mitgearbeitet hat.
Leider war in diesem Konsultationsverfahren (einmal mehr) deutlich zu erkennen, dass Urheber*innen und Rechteinhaber*innen kaum eine Chance haben, ihrer Position Gehör zu verschaffen gegenüber den Einflussmöglichkeiten der Industrie: Die Fülle des Materials und der enge Zeitplan hat sowohl die Vertreter der Urheber*innen und Rechteinhaber*innen als auch die internationalen Verbände über ihre Kapazitäten hinaus herausgefordert.
Die Tech-Industrie, die vor allem in den USA ansässig ist, darf sich dagegen gratulieren: Ihr ist es gelungen, den ohnehin schon schwammigen und nur geringe Verpflichtungen vorsehenden ersten Entwurf kontinuierlich weiter zu verwässern, so dass die Vorgaben schon fast als schädlich für die Rechteinhaber*innen anzusehen sind. Besonders ärgerlich ist die Formulierung zur Verpflichtung der Berücksichtigung maschinenlesbarer Rechtevorbehalte gegen Text- und Datamining, die prominent auf robot.txt-Dateien verweist und damit den Eindruck erweckt, nur in robot.txt formulierte Crawler-Verbote seien beachtlich.
Sowohl national als auch auf europäischer Ebene haben die Verbände und Urhebervertreter ihren Protest gegen diese fortgesetzte Negierung ihrer Positionen und Argumente formuliert – vermutlich leider auch ohne Ergebnis.
Neben dem Code of Practice des Büros für künstliche Intelligenz hat die EU-Kommission das Formular vorgestellt, mit dem die Anbieter künstlicher Intelligenz ihr Produkt beim Büro melden. Laut KI-Verordnung soll diese Anmeldung den Rechteinhaber*innen die Möglichkeit geben, zu erkennen, ob ihre Werke zum Training der KI verwendet wurden, um Ansprüche gegenüber den Anbietern „prüfen“ zu können. Leider ist auch dieses Formular so allgemein gehalten, dass die Rechteinhaber*innen daraus keine Informationen entnehmen können, die eine Klage vor Gericht mit hinreichend Fakten unterfüttern könnten.
Eine weitere Gefahr scheint immerhin vom Tisch zu sein: Als die neue US-Regierung umfangreiche Zölle auf europäische Produkte ankündigte, wurde wohl kurzzeitig überlegt, die KI-Verordnung zurückzunehmen, um die europäische Industrie zu schützen. Inzwischen ist aber angesichts der erratischen Politik des amerikanischen Präsidenten deutlich geworden, dass ihn ein solcher Zug wohl kaum beeindrucken dürfte, es also keinen Sinn macht, die Verordnung zurückzunehmen.
Deutschland
Ob die Entwickler künstlicher Intelligenz nach aktueller Rechtslage Urheberrechte verletzen oder nicht, hängt ganz wesentlich davon ab, ob sie sich auf die 2018 ins deutsche Urheberrechtsgesetz eingeführte Schranke zugunsten von Text- und Datamining berufen können, die mit der europäischen Richtline zu Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt von 2019 (DSM-Richtlinie) noch einmal deutlich erweitert wurde. Während Urheber*innen beim Text- und Datamining zu wissenschaftlichen Zwecken weder widersprechen können noch eine Vergütung erhalten, können sie für das kommerzielle Text- und Datamining immerhin „in maschinenlesbarer Form“ ihr Rechte vorbehalten.
Während die herrschende Meinung der juristischen Lehre davon ausgeht, dass das Einsammeln von Werken aus frei zugänglichen Websites als Text- und Datamining zu betrachten ist und die damit verbunden Vervielfältigungen also der gesetzlichen Schanke unterliegen, wenn kein Rechtevorbehalt erklärt wurde, hat die Initiative Urheberrecht zwei Expert*innen aus den Bereichen IT und Urheberrecht gebeten, sich die einzelnen technischen Vorgänge beim Sammeln und Aufbereiten von Werken zum Zwecke des Maschinentrainings genauer anzusehen und zu beurteilen, ob diese von der gesetzlichen Schranke gedeckt sind.
Das Tandem-Gutachten kommt zu dem klaren und eindeutigen Ergebnis, dass die Vervielfältigungen, Bearbeitungen und öffentlichen Zugänglichmachungen, die für das Maschinentraining erforderlich sind, weit über das hinausgehen, was nach der Schrankenregelung erlaubt ist (Vervielfältigung), und dass daher das Sammeln, Kuratieren und Weiterverarbeiten geschützter Werke zum Zwecke des Maschinentrainings nicht als Text- und Datamining zulässig ist. [Das Gutachten kann in der eLibrary des Verlags abgerufen werden, dessen englische Version finden Sie frei zugänglich auf der Plattform SSRN. Weitere Beiträge von Prof. Stober zu den technischen Vorgängen des Maschinenlernens und deren Dokumentation sind auf der Website der Initiative Urheberrecht veröffentlicht.]
Das Gutachten wurde Ende September 2024 in Berlin vorgestellt und hat für einiges Aufsehen in den Medien gesorgt. Leider ist es in der juristischen Kommentarliteratur noch nicht berücksichtigt. Allerdings zeigt sich in der Politik langsam eine Wirkung: Die Anwendbarkeit der Schranken für Text- und Datamining auf die Nutzung geschützter Werke zum Trainieren von Modellen der künstlichen Intelligenz wird nicht mehr selbstverständlich unterstellt.
Wie (zum Zeitpunkt der Verfassung dieses Berichts noch inoffiziell) zu hören ist, will die neue Regierung im Urheberrecht dafür sorgen, dass ein angemessener Ausgleich der Interessen aller Akteur*innen – Kreative, Wirtschaft und Nutzer*innen – stattfindet. „Urheber müssen für die Nutzung ihrer bei der Entwicklung generativer KI notwendigerweise verwendeten Werke angemessen vergütet werden.“ Dies lässt hoffen.
VG Bild-Kunst
Nach ausführlicher und umfangreicher Diskussion hat die Mitgliederversammlung der VG Bild-Kunst im Juli 2024 Änderungen der Wahrnehmungsverträge beschlossen und damit das Mandat der VG Bild-Kunst um Rechte und Nutzungen im Zusammenhang mit künstlicher Intelligenz erweitert.
Die VG Bild-Kunst hat daraufhin einen Rechtevorbehalt für diejenigen Mitglieder ausgesprochen, die ihr entweder das Vervielfältigungs- und Verbreitungsrecht (Repro-Recht) eingeräumt oder der Ergänzung des Wahrnehmungsvertrages zugestimmt haben.
Lizenzierungen von Werken zum KI-Training stehen derzeit nicht an. Noch weigern sich die KI-Entwickler, die Notwendigkeit von Lizenzierungen einzusehen – auch weil sie derzeit kaum Klagen fürchten müssen. Denn wegen der Territorialität des Urheberrechts (es gilt immer das Recht des Landes, in dem die Nutzungshandlung stattfindet) ist es sehr schwer, außereuropäische Firmen in Europa zu verklagen, auch wenn die Werke von deutschen Websites abgegriffen wurden. Deswegen hat die VG Bild-Kunst auch noch keinen Tarif entwickelt. Auch für die gemeinsam mit der VG Wort zu lizenzierenden internen geschäftlichen Nutzungen gab es bislang keine Interessenten.
Die VG Bild-Kunst unterstützt den Fotografen Robert Kneschke in seiner Klage gegen LAION e. V. vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht in Hamburg. Das Landgericht hatte zunächst festgestellt, dass Robert Kneschke wirksam den Rechtevorbehalt gegen kommerzielles Text- und Datamining erklärt habe. Dennoch hat es die Klage abgewiesen, weil es davon ausging, dass LAION sich auf die Schranke des Text- und Dataminings für wissenschaftliche Zwecke berufen könne, auch wenn die Ergebnisse später von Midjourney und Stable Diffusion kommerziell verwendet wurden. In dem Berufungsverfahren wird es also auch um das Verhältnis zwischen wissenschaftlichem und kommerziellem Text- und Datamining gehen – eine Frage, die von großer praktischer Relevanz ist, da kommerzielle Anbieter von KI häufig Modelle nutzen, die an Universitäten und in der Forschung trainiert wurden. Die VG Bild-Kunst hofft, dass die Gerichte zu dem Ergebnis kommen, dass die Privilegierung für wissenschaftliche Zwecke entfällt, sobald ein KI-Modell kommerziell weitergenutzt wird.
Noch ist die Diskussion um die rechtliche Einordnung von KI nicht abgeschlossen, die rechtspolitische Auseinandersetzung geht weiter. Die VG Bild-Kunst setzt sich dabei dafür ein, dass Urheber*innen auf jeder Nutzungsstufe fair und angemessen vergütet werden können, nicht nur beim Training der Modelle, sondern auch bei der weiteren Kommerzialisierung und wenn möglich auch beim Output, also bei der Nutzung der Ergebnisse generativer KI. Dazu braucht es einen soliden europäischen Rechtsrahmen und dazu müssen dicke Bretter gebohrt werden. Mit der Initiative Urheberrecht und den europäischen Dachverbänden EVA, IFRRO und SAA (Society of Audiovisual Authors) haben wir starke Partner, deren Stimmen in Berlin und Brüssel großes Gewicht haben. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass dem Urheberrecht in Sachen KI-Regulierung momentan noch der Wind ins Gesicht bläst.