EU-Kommission, Urheberrecht und die Kanzlerin

Der neue EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker hat die digitale Wirtschaft und damit auch das Urheberrecht zu den Schwerpunkten seiner Amtszeit erklärt. Er will bereits bis Sommer 2015 weitreichende Reformvorschläge präsentieren. Die scheidende Kommission Barroso hat die Vorarbeiten hierzu bereits abgeschlossen und übergibt voraussichtlich im November den Staffelstab. Wir treten nun in die heiße Phase der Reform ein.

Die scheidende Digitalkommissarin Neelie Kroes wollte den aktuellen Rechtsrahmen für das Urheberrecht auf Kosten der Kreativen modernisieren. Doch sie konnte sich nicht durchsetzen, da das Thema dem Portfolio von Binnenmarktkommissar Michel Barnier zugeordnet war. Dieser wertschätzte als Franzose das Urheberrecht; ein gutes Beispiel, wie wichtig Personen in der Politik sind.
Der neu gewählte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker stellt nun die Ressorts seiner Kommission neu auf: Das Urheberrecht wandert von der Generaldirektion Binnenmarkt in das Digitalreferat – ein schlechtes Omen? Nicht unbedingt: Der zuständige Kommissar heißt nicht Neelie Kroes – die 74-jährige hört auf –, sondern Günther Oettinger, vormaliger Kommissar für Energie. Unter Vizepräsident Andrus Ansip, dem ehemaligen estnischen Premier, soll er die Digitalwirtschaft voran bringen.

Junckers Leitlinien und Zukunftspläne
Im Fokus der Agenda der neuen Kommission stehen zehn Politikbereiche. Eines der politischen Ziele – und das betrifft die Kreativen und Urheber – bezieht sich auf die Schaffung eines vernetzen digitalen Binnenmarkts. Natürlich ist in erster Linie wirtschaftlicher Wachstum das Ziel: rund 250 Mrd. Euro mehr verspricht sich Juncker, daneben neue Jobs mit Zukunftsperspektive; er denkt an eine Start-Up-Kultur. Maßgeblich will er auch dabei die Modernisierung des Urheberrechts vorantreiben:

"Damit wir dies erreichen, werde ich in den ersten sechs Monaten meines Mandats
ehrgeizige gesetzgeberische Schritte zur Verwirklichung eines solchen vernetzten digitalen Binnenmarkts einleiten. Hierzu zählen insbesondere der rasche Abschluss der Verhandlungen über gemeinsame europäische Datenschutzbestimmungen, (...) die Modernisierung des Urheberrechts unter Berücksichtigung der digitalen Revolution und des damit geänderten Verbraucherverhaltens sowie die Modernisierung und Vereinfachung des Verbraucherschutzvorschriften beim Online-Kauf und beim Kauf digitaler Produkte."

Nun soll es also Günther Oettinger richten. Schon haben ihm Politiker der Grünen mangelnde Expertise in diesem Bereich vorgeworfen. Andere – wie der Industrie-Branchenverband BITKOM – halten den als industriefreundlich geltenden ehemaligen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg als besonders geeignet. Wir warten ab und vertrauen darauf, dass Oettinger eine Balance zwischen den Interessen der Kreativen und Konsumenten finden wird.

Da war doch was
Aus der jüngsten EU-Konsultation, die noch aus Zeiten von Neelie Kroes stammt, geht allerdings hervor, dass für die EU-Kommission die Interessen der Nutzer und Verbraucher im Vordergrund stehen. Haben die Kreativen also schon verloren?

Nein, noch nicht.
Wir vertrauen auf das gute Verhältnis zwischen Günther Oettinger und der Bundeskanzlerin.

Bei ihrer Rede Anfang September zur 30-Jahrfeier des privaten Rundfunks betonte die Kanzlerin, dass das Urheberrecht unverzichtbar sei. Sie stellte sich auf die Seite der Urheber: "Was nützt aber der modernste Zugang, wenn der Inhalt nicht geschützt ist? (...) Digital ist mehr als Technik." Sie unterstützt in ihrer Rede die Deutsche Content Allianz als wichtiges Bündnis mit dem gemeinsamen Ziel, die Interessen der Kreativ- und Kulturwirtschaft im digitalen Zeitalter wirkungsvoll zu vertreten.

Die Kanzlerin weiter: "Ich will ausdrücklich sagen: Wenn Kreativität und kulturelle Betätigung keinen Wert mehr haben, weil sozusagen der freie Zugang zu allem angeblich der Maßstab sein muss, dann geht Kreativität verloren." Merkel plädiert für ein zukunftsfähiges Urheberrecht und unterstreicht: "Deshalb werden wir auch in der Politik dafür geradestehen, dass wir ein vernünftiges Urheberrecht brauchen. (...) Bei der Angleichung der rechtlichen Rahmenbedingungen zum Schutz geistigen Eigentums ist natürlich den verschiedenen Interessen Rechnung zu tragen. Es muss aber eben möglich sein, aus kreativer Arbeit Einkünfte zu erzielen. Niemand soll Autoren, Filmemacher oder Musiker eigennützig um die Früchte ihrer Arbeit bringen. Jeder, der sich einmal auf deren Gebieten versucht hat, weiß ja, wie viel Arbeit dahinter steckt."

Wir freuen uns, dass die Kanzlerin das anerkennt. Hoffen wir, dass die Personalie Günther Oettinger in diesem Zusammenhang ein gutes Omen darstellt.